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Gemeindepädagogik 55plus

"Alle Augen warten auf Dich" - Natur und Spaziergang, Teil 2

Petra Tebrün/Silke LaubscherGruppenbild und Augen auf einem Birkenstamm

Petra Tebrün bietet im Rahmen des gemeindepädagogischen Angebots für die Zielgruppe 55plus regelmäßig Spaziergänge durch die Ortschaften unseres Dekanats an. Was die Gruppe von Juni bis September dabei entdeckt hat, lesen Sie hier. Sobald die Termine für 2023 feststehen, informieren wir Sie.

Bildergalerie

Gruppenbild in Badenheim bei unserem Angebot Natur und Spaziergang Evangelische Kirche Wahlheim Gruppenfoto während der Reihe Natur und Spaziergang in Wendelsheim Lesepult in der evangelischen Kirche in Sprendlingen

Die Spaziergänge der Reihe "Natur und Spaziergang" durch das Ev. Dekanat Alzey-Wöllstein dienen dem gegenseitigen Kennenlernen. Von Mai bis September haben die Gastgeber:innen Einblicke in Kirchen, Gärten, das Dorf oder in die private Galerie gewährt. Jeder Spaziergang war anders, der Fokus auf die Besonderheit vor Ort gerichtet. Alle Treffen hatten eins gemeinsam: Die Gastfreundschaft der jeweiligen Gemeinde, die Freude aufs Wiedersehen und das große Engagement der ehrenamtlichen Gästeführer:innen. Herzlichen Dank allen Beteiligten!

Kunst und Geschichte in Badenheim

Der zweite Teil von Natur und Spaziergang führte uns im Juni nach Badenheim. Dr. Richard Auernheimer stellt die Ev. Kirche, eine Saalkirche, einst Simultaneum, vor. Konzipiert wird die Kirche durch den Stadtbaumeister Augustin Wetter um 1827/1828. Seit der Reformation besitzt die evangelische Gemeinde eine Pfarrkirche, den Aposteln Philippus und Jakobus geweiht. Besonders zu erwähnen ist die Form der Marmor-Kanzel im klassizistischen Stil mit Säulen.

Im 18. Jahrhundert waren Konfessionsstreitereien an der Tagesordnung im Ort. Es gab einen ständigen Kampf zwischen Katholiken und Protestanten. Der lutherische Pfarrer wurde gewaltsam aus dem Pfarrhaus vertrieben, und lebte 37 Jahre zur Miete im Dorf. Die Wohnung im Pfarrhaus wird dem katholischen Pfarrer zugewiesen. 1772 werden Feiertage gegenseitig missachtet. Wegen fehlender Mittel verfällt die Kirche zusehends und 1828 wird an der gleichen Stelle ein Neubau errichtet. 1829 wird eine Orgel mit 8 Registern aus einem anderen Dorf übernommen. Heute nutzt die Ev. Gemeinde Badenheim eine Oberlinger-Orgel. 1872 erfolgt die Friedensvereinbarung. Ein gemeinsamer Friedhof am Ende des Dorfes wird genutzt. Eine gemeinsame Grundschule in Badenheim gibt es erst seit den 1960er Jahren! Die Gruppe erhält Einblick in den wunderschönen Pfarrgarten mit Froschteich, altem Baumbestand und Scheune. 

Die kommunale Gemeinde hat dem Dichter und Bürgermeisters Issak Maus ein Denkmal errichtet. Er lebte von 1748-1833, war Schriftsteller, Landwirt und Bürgermeister. 15 Jahre lang hat er das Amt von 1809 an inne, trotz seiner Schwierigkeiten mit der Obrigkeit. Wohlhabend geboren besucht er die lutherische Schule in Badenheim, später die reformierte Schule in Pleitersheim. Nach dem Tod seines Vaters muss er die Schule verlassen und seiner Mutter auf dem Hof zur Seite stehen. Schon früh verschafft er sich die Werke zeitgenössischer Dichter und hat regen Briefwechsel mit Dichterkollegen und Literaturliebhabern. Der Besatzung durch die Franzosen steht er kritisch gegenüber. Er schreibt 1794 das „Freiheitslied“.

Der Spaziergang klingt in der „Galerie zum Maulbeerbaum“ aus. Richard Auernheimer reicht Erfrischung und zeigt „waldwärts“, eine Ausstellung der Künstlerin Sibylle Möndel.

Wiedersehen in Wahlheim

In Wahlheim ist die Wiedersehensfreude groß. Einige ehemals Ansässige treffen einander wieder. Winzer Arno Schröder, langjähriger Kirchenvorsteher, begleitet die Gruppe durch die Ev. Kirche und den kleinen Ort im Kettenheimer Grund. Bodenfunde aus keltischer Zeit und Überreste eines römischen Gutshofs belegen das Alter des Dorfes. Hangen-Wahlheim oder Walaheim sind in der Lorscher Urkunde von 768 erwähnt - Schenkungen eines Gönners in den Jahren 766/778 und 838-850 sind belegt. So kann Wahlheim das 1250jährige Jubiläum zu mehreren Terminen feiern. Esselborn und Freimersheim berufen sich auf Urkunden von 763.

Im Inneren der Ev. Kirche berühren vor allem die Fenster, gestiftet von Angehörigen, die beide Weltkriege miterlebt haben. Neben der Ev. Kirche wird ein fränkisches Frauengrab entdeckt. Auf dem Standort des Grabes, wird 1750 eine Kapelle gebaut, die dem Heiligen Martin geweiht ist. Heute dient dieser Teil der Kirche als Sakristei. Wenn man von der Kirche aus Richtung Ev. Gemeindehaus blickt, befindet sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite das Rathaus. Das heutige Gemeindehaus war früher die Schule des Ortes. Dort legte viele Jahre lang der Pfarrer von Wahlheim den Talar an.

Wahlheim hatte einst 5 Getreidemühlen entlang des Weidasserbaches: Ölmühle, Kellermühle, Schleifmühle, Sandmühle und das größte Anwesen: Die Seilermühle, ehemals zum Alzeyer Kloster St. Johann gehörend. Der Kettenheimer Grund war fruchtbar, hatte gutes Ackerland, die Landwirtschaft florierte. Mehrere Klostergüter sind vermerkt: Waida (Dautenheim) – St. Johann (zu Alzey gehörend) – Sion (Mauchenheim) und das Pfarrgut Wahlheim.

Seit 1837 ist Wahlheim eigenständige Gemeinde. Wahlheim ist der Geburtsort des bedeutenden Landschafts-Portrait- und Historienmalers Jakob Wick. Er lebte von 1834 bis 1912.

Die Gruppe macht am Blicken-Brunnen Rast und die Teilnehmenden teilen Geschichten von früher. Bis in die 1950er Jahre hinein beispielsweise war die Mispel hier heimisch. Sie ziert das Wahlheimer Wappen: Zwei Ähren und 3 Mispeln.

Nieder-Wiesen: Geschichte wie ein Krimi

In Nieder-Wiesen erwartet uns Pfarrer Tobias Kraft zur Führung durch die am Wiesbach gelegene barocke Ev. Kirche. Dort befindet sich die älteste und kleinste Stummorgel Rheinhessens. Gebaut aus Eichenholz, das 15 Jahre abgelagert sein musste, ist das Instrument besonders kostbar. Pfarrer Kraft gibt eine Klangprobe. In der Ev. Kirche befindet sich außerdem der Grabstein von Pfarrer Johann Wilhelm Fresenius (1727), dessen Sohn Johann Philipp als Pfarrer in Nieder-Wiesen amtierte. Später war er Seniorpfarrer in Frankfurt, traute die Eltern von Goethe, taufte und konfirmierte den späteren Dichter. Der Urenkel von Johann Philipp ist Carl Remigius Fresenius, der ein chemisches Analyseinstitut gründete. Weitere Nachfahren schufen ein heute international tätiges Pharmaunternehmen. Das Eingangsportal der Kirche ist mit dem Wappenspruch der Familie Fresenius versehen: „Die gepflanzt sind im Hause des Herrn, werden in den Vorhöfen unseres Gottes grünen.“ PS. 92 Direkter Nachfahre des Pfarrers Fresenius ist Ministerpräsident des Freistaates Thüringen, Herr Bodo Ramelow. Seine Mutter stammt aus Nieder-Wiesen.

Ab 1745 hatte Nieder-Wiesen eine eigene Synagoge in der Kirchgasse 13. Diese wird am 9.11.1938 in der Reichspogromnacht in Brand gesteckt. Heute erinnern eine Gedenktafel an der Ev. Kirche und der Judenfriedhof an das einstmals rege jüdische Leben in Nieder-Wiesen.

Nieder-Wiesen findet urkundliche Erwähnung um 772 und 1150 n. Chr. Neben keltischen Siedlern (300 v. Chr.) lassen sich römische und fränkische Spuren, sowie die Verwaltung von klösterlichen Besitztümern durch den Grafen von Luxemburg nachweisen. 1492 wird die Errichtung der St. Georgs Kapelle als Vorgängerbau der Ev. Kirche dokumentiert. Ende des 17. Jahrhunderts residierten die Vögte von Hunolstein (herausragender Stein = Grundlage des Ortswappens von 1962) auf ihrem Stammsitz. Johann Friedrich von Hunolstein lässt das barocke Wasserschloss als Herrenhaus errichten. Der Wassergraben ist heute noch erkennbar. Nach den Wirren der Franz. Revolution wird der letzte Hunolsteiner, Freiherr Karl Philipp, mit 83 Jahren in der Familiengruft der Kirche beigesetzt. Sein Sohn Karl Daniel Leonhard Vogt und Freiherr von Hunolstein verkauft den Nacker Besitz und heiratet Susanne Friederike Luise Fresenius, Tochter von Johann Christian Fresenius. Mehrere Eigentümer bewohnten seitdem das Anwesen des Schlosses. Seit 2009 befindet es sich im Besitz der Familie Franke.

Im 18. Jahrhundert zwingen die wirtschaftlichen Verhältnisse manche Nieder-Wiesener zur Auswanderung nach Amerika, Kanada oder Brasilien. Andere, Hofbeamte, Menschen jüdischen Glaubens, Verwalter oder Bergarbeiter finden Aufnahme im Dorf. Der Quecksilberbergbau trägt zum wirtschaftlichen Aufschwung bei. 1724-1780 leben 41 Bergmannsfamilien im Wiesbachtal. 1774 werden mehr als 200 Zentner Quecksilber gehoben; wegen Wassereinbruch im Schacht wird der Stollen 1790 geschlossen. Die Geschichte Nieder-Wiesen - so spannend wie ein Krimi.

Ein Besuch im Wendelsheimer Pfarrgarten

Eine muntere Gruppe erwartet die Teilnehmenden an der Ev. Kirche in Wendelsheim. Familie Wendt lädt zur Besichtigung der Kirche, des Pfarrgartens und des ehemaligen Pfarrgartens - heute gehegt und gepflegt von Familie Gradinger – ein.

1783 wird das Kirchenschiff neu gebaut und die barocke Haube des Turms entsteht, der Turmsockel aber stammt aus romanischer Zeit zwischen 1100 und 1150. Reste zweier Wehrtürme weisen auf eine Zeit, in der raubende Horden durchs Land zogen. Wendelsheim wird 766/67 zum ersten Mal urkundlich erwähnt und man nimmt an, dass schon zu dieser Zeit ein Gotteshaus existierte, vielleicht eine Holzkirche. Die Kirche heute ist also ein „Neubau“, Steine der alten Kirche sind eingemauert, zwei Steine tragen Jahreszahlen aus den Pestjahren. Die letzte Innenrenovierung erfolgte 1981. Die Bildtafeln zur Bergpredigt an der Empore sind vom Wormser Kunstmalerehepaar Pallasch geschaffen. Von der alten Stummorgel ist der Orgelprospekt erhalten, der Neubau der Firma Ott hat 16 Register.

Das heutige Pfarrhaus wird 1716 erbaut. 1758 wird F.Ch. Laukhard (Schriftsteller) geboren, Magister und Privatdozent, später Musketier im Heer Napoleons. Früher befanden sich an der Stelle die Pfarrscheune und die Stallungen, die alte Ev. Schule nebenan. 2016 wird die Kirche umfangreich außenrenoviert, zwei neue meditative Fenster des französischen Glasmalers Thierry Boissel bilden den Anfang weiterer zukünftiger Fenster. Auf seiner Website liest man vom „Licht als erster Ausdruckskraft Gottes.“ Emma Wendt liest eine Meditation zu beiden Fenstern voller Poesie und Tiefe.

Das Haufendorf Wendelsheim wird ca. 500 n. Chr. durch die Franken besiedelt und ist erstmals 766 durch das Kloster Lorsch belegt. Bis 1200 entwickelt sich Wendelsheim zu einem Straßendorf. Das Dorf liegt im Tal der Mühlen und an drei Bachläufen: Finkenbach, Wiesbach und Moosbach.

Bevor es zu Familie Gradinger in den Skulpturengarten geht (Teil des ehemaligen Pfarrgartens), bietet Familie Wendt bietet eine Erfrischung am Pfarrhaus. Die kurzweilige Führung endet im Ev. Gemeindehaus mit der Möglichkeit Bücher aus der Gemeindebibliothek gegen Spende für die Kirchenrenovierung zu erwerben.

Sprendlingen: Gedichte und Geschichte

In Sprendlingen liegen das Rathaus und die Ev. Kirche nah beieinander. Ursula Schnell führt uns durch die Ev. Michaelskirche, Simultankirche zwischen 1698 und 1809. Alte Fresken schmücken die gotischen Fenster. Den „hellen Gemeinderaum beschließt eine mit Kassetten bemalte Decke.“ Die frühere alte gotische Kirche stand auf einem Hügel, mit umliegendem Friedhof. 1844 erhält das Gotteshaus eine Stumm-Orgel, 1898 wird das Simultaneum aufgelöst. 1965 wird das Gotteshaus innen- und außenrenoviert - letztere wird 2003 abgeschlossen. Der Ambo mit wunderschöner Bronzearbeit eines Vogelnests zitiert Jesaja 31,5: „Und der Herr Zebaoth wird Jerusalem beschirmen, wie die Vögel tun mit Flügeln, schützen, erretten, darin umgehen und aushelfen.“

Am Wiesbach unterm Lindenbaum liest Ursula Schnell Zeilen des Bürgermeisters und Heimatdichters Jakob Hirschmann (Gedenktafel). Der Weg führt am Heimatmuseum vorbei, hinein in die Ulmengasse mit ihren gut erhaltenen Ziegelhäusern. Drei Backsteinfabriken waren ehemals in Sprendlingen ansässig. Die Mühlgasse, der Wiesbachweg und das Hochwasserschutzgebiet sind weitere Stationen.

Durch glücklichen Zufall macht Norman Weidmann, Klarinettist, in der Synagogengasse den Spaziergänger:innen ein unerwartetes Geschenk: Wir erhalten Einblick in das ehemals jüdische Gotteshaus und erfahren etwas über die traurige Geschichte der Sprendlinger Juden. Stolpersteine erinnern an Familie Schloss. Die ehemalige Synagoge, das denkmalgeschützte und 2003/2004 renovierte Einraum-Gebäude (barocke und romanische Elemente) dient heute als Kulturhaus und beherbergt das Sprendlinger Blasorchester. Eine Gedenktafel erinnert an deportierte Gemeindeglieder und die Zerstörung der Kultstätte. Weitgehend erhalten ist der Sims für Kerzen. Die Farbgestaltung in Grün und Blau (Himmel) entspricht der 1. Synagogenrestaurierung. An der Stelle des ehemaligen Thoraschreins sind Reste einer hebräischen Inschrift lesbar: „Dem Höchsten“. In einer Steinnische seitlich sichtbar eine alte Thorarolle auf einem Gebetsschal liegend. Die Bestuhlung ist auf die Mitte konzentriert, zur Bima (Lesepult) hin. Die Erhaltung und Restaurierung des Gebäudes, der „architektonischen Zeitzeugin“, erlebt die Gruppe als Geschenk.

Am Eckhaus Mühlgasse/Ernst-Ludwig-Straße zeigt ein keramisches Wandbild die Heilige Gertrud von Nivelles. Entstanden ist es 1982 in einer Ferienaktion mit Kindern. Unser Weg führt uns zurück durch die Schulstraße (Grundschule ebenfalls ein imposanter Backsteinbau) zum Rundturm der Ev. Kirche (Teil der ehemaligen Stadtmauer). Ein kurzweiliger, inspirierender, mit Mundartgedichten von Ursula Schnell bereicherter Rundgang durch Sprendlingen geht zu Ende.

Ein herzlicher Dank geht an alle ehrenamtlichen Gastgeberinnen und Gastgeber für die erlebnisreichen Einblicke in Kirchen, Dorfgeschichte und private Gärten. Sie haben allen Teilnehmenden einen interessanten und gemeinschaftsfördernden Sommer 2022 bereitet!

Bericht: Petra Tebrün im Oktober 2022

Sobald die Termine für 2023 feststehen, informieren wir Sie. Gerne können Sie schon jetzt Ihr Interesse bei Petra Tebrün bekunden. Hier geht es zu den Kontaktdaten: 55plus

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