Frau Tebrün, Sie besuchen als Gemeindepädagogin die Altenheime in Saulheim und Wörrstadt. Stellen Sie sich doch bitte einmal kurz vor
Petra Tebrün: Ich bin Dipl. Religionspädagogin und habe in den 1980er Jahren an der Evangelischen Fachhochschule Darmstadt mit dem Schwerpunkt Erwachsenenbildung studiert. 1993 bin ich von Evangelischen Kirche der Pfalz in die EKHN gewechselt, zunächst in den Rhein-Lahn-Kreis mit einer Projektstelle in der Erwachsenenbildung. Danach habe als Gemeindepädagogin in der Kinder- und Jugendarbeit der Evangelischen Kirchengemeinde Alzey gearbeitet. Damals habe ich eine systemische Ausbildung absolviert und Freude an prozessorientierter Arbeit entwickelt.
2010 wurde mir die Besuchsdienstarbeit und die Arbeit mit jüngeren Senior*innen anvertraut. Der Abschluss als Freiwilligen-Managerin folgte. Ab 2021 konnte ich im Evangelischen Dekanat Alzey meine Angebote mit Menschen in der zweiten Lebenshälfte erweitern, Besuchsdienstarbeit vernetzen und Veranstaltungen koordinieren. Zeitgleich habe ich mich als Supervisorin und Coach ausbilden lassen.
Systemisches Denken zieht sich also wie ein roter Faden durch mein Arbeitsleben. Der ressourcenorientierte Blick, das Denken in Möglichkeiten und die Fähigkeit, die Perspektive zu wechseln, kommen meiner Arbeit in den beiden Altenheimen zugute.
Sie halten in den Einrichtungen auch Gottesdienste. Sind Sie denn auch Pfarrerin?
Petra Tebrün: Nein.
Was für Angebote außer den Gottesdiensten bieten Sie noch an?
Petra Tebrün: Seit 2023 begleite ich Menschen im AWO-Seniorenzentrum in Wörrstadt und bin dort außerdem für Geburtstagsbesuche, Seelsorge und Einzelbegleitung von Bewohner*innen verantwortlich. Ein offenes Ohr habe ich für Angehörige ebenso wie für Mitarbeitende, wenn sie es wünschen. Immer wieder wenden sich Menschen vertraulich an mich und suchen das Einzelgespräch.
Zum „Welt-Alzheimer-Tag“ 2024 habe ich in der AWO Wörrstadt zur „spirituellen Dimension im Umgang mit Menschen, die an einer Demenz erkrankt sind“ einen Workshop für Ehrenamtliche und Angehörige angeboten.
Im Haus Gabriel in Saulheim gestalte ich seit dem Sommer 2024 die Gottesdienste. In Absprache mit dem sozialen Dienst besuche ich einige Bewohner*innen. Wir lernen uns immer besser kennen. Es geht darum, Vertrauen aufzubauen und Menschen empathisch zu begleiten.
Können Sie uns einen kleinen Einblick in die Begegnungen mit den älteren Menschen geben? Was sind Ihre Ziele und wie reagieren diese Menschen auf Sie?
Petra Tebrün: Mein Ziel ist es, Potentiale älterer Menschen zu wecken und erfahrbar werden zu lassen. Die eigene Haltung ist dabei entscheidend. Bewertungen? Fertige Konzepte? Meinen zu wissen, was für den anderen gut ist? Loslassen! Dabei ergänzen kreative Angebote meine Arbeit von Zeit zu Zeit, um Selbstbewusstsein zu stärken und Selbstwirksamkeit der Bewohner*innen erlebbar zu machen. So erfahren sie sich als schöpferische Wesen, die sich kreativ ausdrücken und alle Sinne miteinbeziehen.
Menschen zu begleiten, gehört zur christlichen DNA. So heißt es bei Jesaja: „Ja, ich will euch tragen bis ins Alter und bis ihr grau werdet.“ Das ist Verheißung und Auftrag zugleich – es gibt meiner Arbeit Sinn. Bei den Bewohner*innen erlebe ich Dankbarkeit und Freude.
Ich achte die Gefühlswelt meines Gegenübers, entwickle Sensibilität für Nähe und Distanz, führe biografieorientierte Gespräche, lasse mich täglich auf neue, oft ungewohnte Situationen ein und bringe eine wertschätzende Grundhaltung mit.
Wie erreichen Sie Menschen, die körperlich und/oder mental nicht mehr ganz gesund sind?
Petra Tebrün: Wenn Menschen ihr Zimmer gar nicht mehr oder nur noch selten verlassen können, stehe ich für einen Besuch zur Verfügung, bleibe verlässlich präsent und weiß von vielen persönlichen Lebensgeschichten. Ich schwinge mich voll und ganz auf mein Gegenüber ein., gehe in die Wahrnehmung, kann mich zurücknehmen und mein Gegenüber „sprechen“ lassen. Um in den Kontakt zu gehen, müssen wir nicht reden. Wir sind ganzheitliche Wesen, der Körper spricht mit, das Herz ist immer dabei. Ich bleibe empathisch und geduldig. Wenn wir an Grenzen kommen, ist Entschleunigung das spirituelle Maß und die Erfahrung, dass etwas „Größeres“ wirkt. Gott ist da. Ich erkenne das in jeder zärtlichen Geste oder wenn ich beobachte, wie Bewohner*innen miteinander umgehen. In jedem Lächeln, im gemeinsamen Gebet oder wenn mir jemand zuwinkt. Auch wenn Tränen fließen oder bei einem entschiedenen „Nein.“ Das hat alles seinen Platz. Ich bleibe im Moment. Manche zeigen mir, dass ich sie durch meine Stimme erreiche, mit anderen gehe ich ins Schweigen.
Gibt es ein Credo/Motto, mit dem Sie Ihre Arbeit betiteln können?
Petra Tebrün: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“, sagt Martin Buber.
Das Interview führte Anke Gersie